ZitatAlles anzeigenDies ist ein Text von Harald Welzer, 52, vom
Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Ich denke, er wäre mit einer
Veröffentlichung des Textes in diesem Kontext durchaus einverstanden
und da ihn meiner Meinung nach jeder einmal lesen sollte, publiziere ich
ihn hier:Beginnen Sie, einfache Fragen zu stellen; hören Sie auf,
Europapolitikern zu glauben; nutzen Sie Ihre Handlungsspielräume; haben
Sie Spaß dabei: Die Rettung der Welt zum Mitmachen in zehn Empfehlungen.Von Harald Welzer
1. Selber denken.
2. Trauen Sie endlich Ihrem Gefühl, dass um Sie
herum ein großes Illusionstheater stattfindet. Die Kulissen simulieren
Stabilität, aber das Stück ist eine Farce: Immerfort treten dicke Männer
auf und brüllen „Wachstum!“, Spekulanten spielen Länderdomino, und
dauernd tänzeln Nummerngirls mit Katastrophenbildern über die Bühne. Das
Publikum ist genervt und wütend, bleibt gleichwohl bis zum Ende der
Vorstellung sitzen. Aber: Wann wird das wohl kommen?3. Verlassen Sie besser die Vorstellung und beginnen
Sie, ganz einfache Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum muss man
immer mehr arbeiten, wenn man immer mehr arbeitet? Warum werden die
Schulden größer, wenn immer mehr gespart wird? Warum schrumpft alles
andere, wenn die Wirtschaft wächst?4. Suchen Sie zusammen mit Ihren Freundinnen und
Freunden nach Antworten. Zum Beispiel: Weil alle Idioten auch mehr
arbeiten. Weil das Gesparte in fremde Taschen wandert. Weil viele
börsennotierte Unternehmen staatsferne Parallelgesellschaften bilden.5. Beschließen Sie, ab sofort nicht mehr mitzumachen, falls Ihre Antworten Sie beunruhigen.
6. Fangen Sie damit an, aufzuhören. Hören Sie auf,
Europapolitikern zu glauben. Hören Sie erst recht auf,
Wirtschaftsforschungsinstituten zu glauben. Und hören Sie um Gottes
willen damit auf, sich widerspruchslos erzählen zu lassen, irgendeine
Entscheidung sei alternativlos gewesen. So etwas gibt es in Demokratien
nicht.7. Wenn Sie jetzt so weit sind, dass Sie nicht mehr
jeden Blödsinn tolerieren, nutzen Sie Ihre Handlungsspielräume. Sie
leben in einem der reichsten Länder der Erde, Sie sind hervorragend
ausgebildet, Sie haben Spaß am Leben und finden sich ganz gut. Warum zum
Teufel machen Sie jeden Tag dasselbe und nie etwas anderes?8. Wie Sie Ihre Spielräume nutzen sollen? Schauen
Sie sich einfach an, was andere machen. Es gibt doch unglaublich tolle
Ansätze und Projekte: Energiegenossenschaften, Nachbarschaftsgärten,
fairen Konsum, lokale Währungen, großartige Stiftungen, Unternehmen, die
sich dem Wachstumszwang verweigern. Schreiben Sie politischer, falls
Sie Journalist sind. Forschen Sie für eine andere Zukunft, falls Sie in
der Wissenschaft sind. Wechseln Sie die Pausenthemen, falls Sie am Band
arbeiten. Kaufen Sie anders ein, falls Sie ein Restaurant haben. Fragen
Sie, wo der Fisch herkommt, wenn Sie essen gehen. Interessieren Sie sich
für die Zukunft Ihrer Schüler, falls Sie Lehrerin oder Lehrer sind.
Fusionieren Sie mit einem Kindergarten, wenn Sie ein Seniorenheim
leiten. Denken Sie ans Höllenfeuer, wenn Sie einem der vier großen
Energiekonzerne vorstehen. Produzieren Sie cradle to cradle, wenn Sie
eine Fabrik besitzen. Riskieren Sie etwas, wenn Sie sich für
intellektuell halten.9. Versuchen Sie irgendwo dazuzugehören, wo Sie
stolz sagen können: „Wir machen das anders!“ Zum Beispiel eine Kultur
der Achtsamkeit entwickeln, Ideen interessanter finden als Erfahrung,
nicht auf Kosten anderer leben, oder was Ihnen sonst noch einfällt.
Zukunftsfähig zu sein bedeutet das Gegenteil vom business as usual:
lernend, fehlerfreundlich, reversibel zu handeln.10. Bilden Sie Labore der Zukunft und haben Sie Spaß
dabei. Vergessen Sie das „5-vor-12“-Blabla der Ökobewegung und das
Gerede von der „Weltgemeinschaft“ und der Notwendigkeit globaler
Lösungen. Niemand hat an Ihrer Wiege gestanden und mit hohler Stimme
gesagt: „Lars, du bist zu uns gekommen, um die Welt zu retten!“ Es
genügt völlig, wenn Sie beginnen, mit Ihrem Leben, Ihren Lieben und
Ihrem Land verantwortungsvoll und zukunftsfähig umzugehen. Das aber
bitte gleich.Stornieren Sie Ihre nächste blöde Flugreise (Sie wollen da sowieso nicht
hin), bestellen Sie Ihr nächstes Auto erst gar nicht (es wird Sie
unglücklicher machen, weil Sie glaubten, es mache Sie glücklicher),
kaufen Sie nichts mehr, was zu billig ist (denn dann hat irgendjemand zu
wenig bekommen). Säbeln Sie in Ihre Weihnachtsgans und teilen Sie Ihren
Kindern oder Enkeln mit, dass Sie ab jetzt Ihr Leben ändern werden. Das
wird Ihnen helfen, es tatsächlich zu tun (denn jetzt können Sie nicht
mehr zurück).
Quelle :
http://protestwahl2013.de/
Harald Welzer, 52, lehrt am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen
und veröffentlichte zuletzt mit Claus Leggewie „Das Ende der Welt, wie
wir sie kannten“ (S. Fischer).
M.f.G
Alex.W